“Wie kommt man auf Idee ein Hörbuch zu produzieren?” – Auf die gleiche Weise wie die Entscheidung zum Mittagessen. Klar, der Kontext ist hier ein anderer: Ich habe 9 Jahre Radioerfahrung, habe mir gute Aufnahmetechnik angeschafft und irgendwann fällt dann der Blick ins Bücherregal. So entstand die spontane Idee zum Hörbuch, da ich mich an den Film “Der Vorleser” erinnert fühlte. Ödön von Horváths “Jugend ohne Gott” kannte ich bereits aus der Schulzeit und es war seit da an neben Stephen Kings “Hearts in Atlantis” mein Lieblingsbuch. Es hat diesen Horváth-Charme, der sich zwischen Einfachheit in der Ausdrucksweise und Komplexität dessen, was eben nicht da steht, bewegt. Hinzu kommt, dass es um grundlegende menschliche Ideale geht: Wahrheit, Verantwortung, die richtige Entscheidung.
Es war trotz vieler Radioerfahrungen neu für mich, ein Hörbuch aufzunehmen. Grund genug die Hörreise durch Horváths Werk einmal zu skizzieren.
Was ist der Anfang einer Hörbuchproduktion? Ich weiß es nicht, aber ich denke, es ist nie verkehrt, das Buch gelesen zu haben. Nur so kann ich durch meine Stimme das auszudrücken, was eben nicht da steht, aber meines Erachtens so ausgedrückt werden müsste. Und davon sollte man bereits am Anfang ein Bild / eine Stimme im Kopf haben. Der nächste wichtige Schritt war die Technik. Da ich kein professionelles Aufnahmestudio zur Verfügung hatte, sondern nur meine 17m² Studentenwohnheim stand ich vor dem Problems des Raumhalls und der richtigen Lautstärke / Nähe zum Mikro. Um den Hall etwas in den Griff zu bekommen, entschied ich mich für einen Mic-Screen, der auch seinen Effekt brachte, aber einen akustisch schlechten Raum auch nicht komplett aus der Aufnahme tilgen kann. Doch für das Hörbuch war das OK, da etwas Raumhall für diese Audiogattung dazugehört und es sich angenehmer anhört.
Ich arbeitete für das Hörbuch mit einem Rode NT1a, das direkt an ein RME Babyface angeschlossen war. Bei der Nachbearbeitung in Audition setzte ich einen Rauschminderer (wegen des PC-Lüfters), einen Equalizer und einen Multibandkompressor für die Stimme ein. Eine Herausforderung war in erster Linie der Equalizer, da zwar einerseits meine tiefe Stimme gut zur Geltung kommen sollte, aber keine Frequenz wirklich herausstechen durfte, da das für das längere Hören zu anstrengend wäre. Mit der technischen Tüftelei verbrachte ich 2-3 Wochen.
Wie liest man nun ein Hörbuch? Ich habe mir jedes Kapitel vor der Aufnahme laut vorgelesen und schwierige Ausdrücke wiederholt. Zusätzlich markierte ich mir Sinnabschnitte für wichtige Pausen in den einzelnen Kapiteln – um so auch schneller ein Kapitel neu produzieren zu können, falls ein Teil nicht passen sollte. Pro Kapitel hatte ich so zwischen 4 und 10 Einzelstücke. In den ersten Kapiteln hört man deutlich, dass ich von der Vorlesegeschwindigkeit noch zu schnell bin und auch die Pausen etwas kurz nehme, der Rhythmus war noch nicht so eingelesen. Um das in den Griff zu bekommen, habe ich mir die bisherigen Aufnahmen angehört und mich beim Vorlesen dazu gezwungen langsam zu lesen. Das klappt ganz gut, wenn man auf die einzelnen Silben achtet – das nimmt Geschwindigkeit raus.
Das Buch ist aus der Ich-Perspektive des Lehrers geschrieben. Da stellt sich natürlich die Frage nach der stimmlichen Grundfärbung / Grundstimmung des Buches – wie klingt der Lehrer und wie klingen dann alle anderen Personen? Für mich war der Lehrer immer eine eher nachdenkliche Person, die erst im Laufe des Buches richtige Entscheidungen trifft, aber hauptsächlich alles analysiert, beobachtet und still bewertet. Da es für den Zuhörer bei 3,5 Stunden Hörbuch aber auch sehr unangenehm wäre, wenn der Sprecher immer freundlich ins Mikro lächelt, wie es für Radiomoderatoren typisch ist, entschied ich mich für meine ruhige neutrale Stimme, die leicht emotionslos – und damit analysierend – sowie leicht traurig – Geworfenheit des Lehrers in eine komische Welt – wirken sollte.
Die Schüler sind keine speziellen Personen bis auf den T. D.h. hier habe ich mir gedacht, dass eine eher höhere, leicht schwache Stimme ganz gut ist – wie man es von Jungen um die 14 Jahre erwarten würde. Der T ist ein Sonderfall, da er für die Eigenartigkeit der zugrunde liegenden Welt in dem Buch steht: Er ist der Fisch, bewegungslos, immer lächelnd, aber kalt. Genau das habe ich bei seiner Rolle dann auch so umgesetzt. Ein starres Lächeln, das etwas unangenehm daher kommt, da ich relativ nahe und leise ins Mikros gesprochen habe, wodurch das Gefühl der unmittelbaren Nähe entsteht. Julius Caesar war schwerer zu sprechen, da er meines Erachtens die ältere, leicht notgeile Version des Lehrers ist. Daher habe ich ihn etwas schneller und gehässiger gesprochen. Der Feldwebel und die Funktionäre / Kriminalkomissare typisch militärisch, die Rechtsanwälte aufgesetzt hochtrabend, den Schulleiter und Richter ruhig und bedacht, die Journalisten forschend fragend, Eva eher hoch und leise genauso wie die Damen des Gewerbes, den Bäckermeister arrogant, dumm und hetzerisch. Der Pfarrer war auch schwierig zu fassen. Er wird als dick beschrieben, daher habe ich ihn etwas höher und schneller gesprochen, aber auch freundlich-kritisierend bzw. herausfordernd, da er sehr viel weiß und jede Diskussion in die Tiefe führen kann.
Ich kann nicht sagen, inwieweit das aus meiner Stimme hervorging, aber das waren zumindest meine Hintergedanken. Ein Hauptproblem am Hörbuch war gerade zu Beginn des neuen Semesters das Wohnheim und meine Nachbarn. Immer wieder ging eine Tür, ein Wasserhahn, Schritte. All das kostete Zeit und Nerven, da ich die Aufnahme jedes Mal unterbrechen musste.
Fazit: Ja, ich würde nochmal ein Hörbuch sprechen, allerdings nur in den Semesterferien. Das Hörbuch gibt es kostenlos zum Anhören und Herunterladen unter http://hoerbuch.benjaminhartwich.de/.