Radio 2.0 – Ein paar Tipps

Seit längerem verfolge ich nun schon das Gejammer der Radiomacher im Hinblick auf sinkende Hörerzahlen und die Überforderung im Umgang mit dem Internet, das fast einem Abiturienten auf Jobsuche gleicht, und andererseits muss ich feststellen, dass sich wiederum nicht wenige schon jetzt auf die Schulter klopfen und sagen: “Mit Social Media und anderem “Internetblubb” sind wir nun voll auf der Erfolgsspur” oder so ähnlich.

Paradox, oder? Hier nun ein paar Tipps und Meinungen meinerseits, aus der Sicht eines unkonvetionellen Uniradiomachers, der UKW nur noch als Verkehrsfunk nutzt, wie die meisten in meinem Freundeskreis…

Was war immer die Grunddomäne des Radios, was die Leute seit jeher angezogen hat?

Coole Moderatoren, die abgerockt haben, die unverwechselbar waren. Seit Patrick Lynen eine Radiogröße ist, denke ich, können wir diesen Satz alle im Schlaf herunter beten, einmal mehr um die Augen zu verdrehen, einmal weniger.

Aber das andere war doch bisher immer die Musik. Ich habe z.B. bei Klassik Radio im Alter von 13 Jahren immer die Cinema-Show auf Kassette mitgeschnitten und das war nicht vor 20 Jahren, sondern vor 8-9 Jahren, genauso wie ich keine Sendung meines Lokalsenders (Brot und Spiele) verpasst habe. Radiomacher sollten also nicht sagen: Die jungen Leute hören ja nur noch ihren iPod und damit resignieren, sondern der Anspruch muss sein: Wir sind besser als dein iPod! Von einer Radiostation erwartet sich jeder Hörer schon aus Logik heraus – bei Radiostationen sind ja zum großen Teil studierte Musikjournalisten und generell Musikfachmänner angestellt – dass genau diese Leute beim UKW-Radio wesentlich mehr erreichen müssten, als ich mit meinen Musikrecherchekünsten im WWW. ODER?!

Social Media, na, wie gut kennen Sie sich aus damit? Twitter, Facebook und Soundcloud? Twitter ist zum Teil schon tot. Mich persönlich interessiert dieser Kanal 0,0. Twitter ist hauptsächlich für Leute interessant, die entweder <1000 Follower haben oder so mit Interessensgleichen schnell kommunizieren möchten. Genauso wie eine Facebook-Fanseite. Wenn dort nur selten irgendeiner der Fans ein Like oder einen Kommentar hinterlässt, ist das, was Sie machen, irrelevant. All diese Dienste bauen auf einer Sache auf: einem großen Publikum. Vergleichbar mit der Situation Webradio und UKW. Was denken Sie, wie erfolgreich wäre Ihr Sender, wenn Sie nur im Netz streamen würden?
Dann mal kurz zur Soundcloud. Hat eigentlich noch keiner gemerkt, dass dieses Teil wesentlich teurer ist, als normaler Server-Speicherplatz und einer herkömmlichen Podcast-Einbindung mit Feed und darüber hinaus Soundcloud bei Werbeblockern gar nicht funktioniert? Nur mal so am Rande. Wieso so viele Dinge auslagern? Wenn es für Sie nicht unbedingt einfacher wird, wie soll es dann für den Hörer einfacher werden. Was ist besser: Sich durch 5 Seiten durchklichen zu müssen oder durch eine?
Wie also mit Social Media umgehen? Ganz normal kommunizieren, so wie auch On Air kommunziert wird, authentisch, zielgruppenorientiert etc. Man muss nicht auf Facebook sein, eine App haben und sonst was, um erfolgreich zu sein. Fanseiten zu Radiostationen und anderem wurden früher von Fans angelegt.

Des Weiteren baut Social Media auf einer funktionierenden Basis auf, d.h. ein Sender, der nicht gut läuft, wird mit Social Media noch schlechter laufen, oder anders gesagt: Für Social Media braucht man einen gewissen technischen Standard. Manche nennen es Web 2.0, meiner Meinung würde auch schon eine einfache, schlichte, aber dennoch fein designte Seite völlig reichen – siehe Detektor.fm. Mehr braucht es nicht! Viele achten überhaupt nicht auf ihren Webstream, dabei ist das ja das wichtigste der Homepage, denn jemand der auf die Homepage eines Senders geht, ist bereits im Internet, daher liegt der Verdacht nahe, dass er auch über diesen zuhören wird. Also muss der Stream eine gute Qualität haben, ganz leicht zu finden und zu bedienen sein. Vor allem sollte man ihn als weitere Werbemöglichkeit nutzen und nur so am Rande: Ein Stream mit vielen Hörern sagt wesentlich mehr aus, als eine ag.ma-Auswertung, denn ein Produkt, das unter 60.000 weiteren Streams besteht, tut dies zu 100% auch auf UKW. Ich würde bei Ihnen nur Werbung schalten, wenn Ihr Stream mindestens 500 gleichzeitige Hörer je Frequenz hat.

Was viele auch nicht zu verstehen scheinen: Social Media ist kein Schlagwort, sondern eine Plattform, die einem eine bestimmte Art der Kommunikation erlaubt. Jeder kann mit jedem über alles reden und steht auf gleicher Augenhöhe mit ihm. Ich habe volle “Einflussmöglichkeiten”. Wenn ich solche Plattformen nun als Medienanstalt einsetze, dann muss ich auch die gleiche Kommunikation zulassen oder generell erstmal herstellen. Das heißt nicht nur, dass man Statusmeldungen rausschickt mit: Was machst du heute bei dem schönen Wetter, sondern dass man nicht diese Plattformen aktiv für das Programm nutzt, aber die Art der Kommunikation! Man kann – nur mal kurz logisch denken – keine zwei verschiedenen Medienarten zu 100% miteinander koppeln. Wie denn auch? Das eine ist ein Live-Programm, das andere eine Art Forum. Aber ich kann die Art des Umgangs, der Spontanität, der Freundschaft und generell der gegenseitigen Sympathie im Austausch von Informationen, was Millionen Menschen toll finden, auf mein Liveprogramm übertragen.

Ein Beispiel? Die Übertragung einer Redaktionskonferenz mit der Möglichkeit der Hörer sich sofort dazuschalten zu können. Dazu noch ein bisschen radiotypisches Rumgealbere und man hätte Radio 2.0. Das ist Facebook-Kommunikation! Das wäre moderne Radiokommunikation. Anderes Beispiel: Senden Sie doch mal da, wo Ihre Hörer jeden Tag unterwegs sind. Freibad, Fußgängerzone etc. Sie wollen mobil sein, dann raus in die Welt und nicht zu App-Programmier-Agenturen! Heutzutage schaffen es einfache Webradiomacher mit geringem Kostenaufwand ein gutes mobiles Radioprogramm aus der ganzen Welt zu streamen, was schaffen Sie mit UKW-Technik?! Leben Sie ein Radio-Feeling, mit dem die Hörer etwas anfangen können. Legen Sie mal wieder Platten auf, graben Schätze aus Ihrem Archiv aus, produzieren Sie lustige, versaute, böse Hörspiele. Langer Rede, kurzer Sinn: Nutzen Sie das Potenzial, das sie jeden Tag haben und jeden Tag auf´s neue durch das immer selbe Programm vergeuden.

Ich denke, dass Radio zwei Dinge braucht, um weiter gut zu bestehen:

  1. Back to the roots: Sei besser als mein iPod und gib mir außergewöhnliche Menschen, die auch mal hassen kann.
  2. Zurück in die Zukunft: Hör auf mobile Apps zu basteln, damit dich jeder mitnehmen kann, sondern geh unter die Leute mit deinem Programm. Sende aus einem Freibad, vom Betriebsausflug etc.
  3. Weg mit Konventionen! Über was wurde schon immer gesprochen? Über verrücktes, außergewöhnliches und einmalige Erfahrungen.
  4. Konzentriere dich auf dein Kerngeschäft und zeige Mut!

Einfach probieren und mir sagen, ob es funktioniert hat. Weitere Tipps folgen!

Benjamin Hartwich

Benjamin Hartwich, M.A. Medien- und Kommunikationswissenschaften. Privat betreut er mehrere Webprojekte, bloggt und podcastet. In seiner Freizeit gestaltet er seinen eigenen Webradiosender. Mit 14 Jahren hat er ein Schulradio in Augsburg aufgebaut. Neben dem Studium arbeitete er 6 Jahre beim Campusradio Campus Crew als Moderator, Technikleiter, Musikchef und Programmchef mit.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Michel

    Bravo, guter Artikel und auch ein guter Kommentar auf der Radioszene Homepage.

    Grundsätzlich gab es fast alle Mitmachansätze und Möglicgkeiten im Radio der 80er und Anfang der 90er. Doch dann kamen die tollen amerikanischen Berater mit ihrem Formatkoffer und bügelten jegliche Ecken und Kanten aus den Programmen heraus.

    Man findet mehr Überraschungen im Ü-Ei als in seinem lokalen UKW Sender.
    Gruß Michel (Ex-BeFM)

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